Sunday, February 7, 2010

Mysterious Saukerl - Alexander Knopf Präsentiert

Fun Club's exchange program with Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg continues. Talented young scholar Alexander Knopf agreed to join the jury of our upcoming Literature Award. On top of that he delivered a thoroughly fascinating and mysterious "review". For the first time ever in Fun Club history, we felt obliged to leave words untranslated.

After making a fortune as a real-estate agent, Alexander Knopf decided to squander his money as a backpacker. He traveled the world and picked up pretty much every language he came across. When he finally returned to Eastern Germany, the wall was already gone, so he went to Heidelberg and enrolled as a literature, history and ethnology student. He has been published in countless magazines, journals and newspapers and has a very particular skill set if it comes to editorial practices. Some of us might remember his magazine "federlesen", others have benefited from his contributions to the Hebel edition. These days he's working on a PhD on Georg Friedrich Philipp Freiherr von Hardenberg, also known as Novalis.

In the picture below you find Alexander Knopf in a weird position. It might be hard to believe that it's really him, yet this might prepare us for what's coming.


"IN DEN BÜCHERBERGEN, die nach 1989 von Ostberliner Antiquariaten unter dem Etikett „ideologisch kontaminiert“ verramscht wurden, findet sich noch heute, bei geduldigem Graben, manches brauchbare Druckerzeugnis. Aus dem Jahre 1955 etwa stammt das völlig vergessene und tatsächlich nirgendwo mehr auffindbare Büchlein „Der Stellvertreter“ [Заместитель], verfasst von Ivan Golz, der es auch vom Russischen ins Deutsche übertrug. (Fischer Verlag Jena) Golz, seinerseits persona incognita, gibt wenig Informationen preis. In Lemberg um das Jahr 1900 geboren, verlebt er eine nirgendwo bezeugte Jugend, bis sich ein Lebenszeichen erstmals in den zwanziger Jahren in Petersburg findet. Majakowski berichtet von einem Zusammenstoß mit dem „Saukerl [мерзавец] Golz aus Lemberg“, der sich nach einer Lesung seine Gedichte ausbat, um einen Hering darin einzuwickeln. Offenbar hatte sich Golz nach der Revolution nicht nur dem antibolschewistischen Widerstand angeschlossen, sondern auch für Futurismus nicht viel übrig. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass besagter Golz mit jenem identisch ist, der nach Auskunft von Sinowjews Tagebüchern das Dekameron so gut übersetzt hat, dass er, Sinowjew, es trotz Stalins Belletristikverbot (mit gleichzeitiger Empfehlung seiner eigenen parteipolitischen Schriften) nicht aus der Hand zu legen vermochte. Nach dem Kronstädter Aufstand, in den Golz – wir wissen nicht wie – verwickelt war, floh er nach Berlin. Dort verliert sich seine Spur rasch und unwiederbringlich. Nicht mit letzter Sicherheit steht fest, ob das Couplet mit dem Titel „An den traurigen G.“ des in den Berliner Cabaréts der späten Zwanziger nicht unbekannten Erich Kleinwiegel auf Golz anspielt:

Kau nich auf deinem Bleistift rum, 
Der is doch nur von Holz 
So wie dein Kopp, den trägste stumm 
Tagaus, Tagein. Wat solls?

Mit deine Ohren hörste nich, 
Schmierfinkenkomsomolz, 
Dabei sing ich det nur für dich. 
Undank ist… ach, wat solls! etc.

„Der Stellvertreter“, Golz’ einziges auf uns gekommenes Werk, ist ein Kammerspiel. Gumbrow, Insasse eines Irrenhauses, sieht sich gezwungen, seine Zelle fortan mit dem soeben eingelieferten Lemski zu teilen. Für Gumbrow eine Katastrophe, denn der Grund seines Aufenthalts im Irrenhaus ist der freiwillige Rückzug in die Psychose zum Zwecke eines ungestörten Bücherlebens. Ein „geschmackvoller Coup“ habe ihm, wie Gumbrow selbst sagt, dieses Privileg verschafft. Anlässlich eines Besuchs in Uppsala, bei dem er sich den Codex argenteus vorlegen ließ, begann er vor dem zur Salzsäule erstarrten Bibliothekar, Seite um Seite auszureißen und sich in den Hals zu stopfen, nicht ohne eine Silberintoxikation mittleren Grades zu verursachen. Es ist klar, dass ein Buchstabenmensch nur das Buch der Bücher verspeist. Aber hier geht es um mehr als gelehrte Allusion auf Johannes. Mit einem einzigen Akt der Gefräßigkeit zeigt Golz, was beiden, Religion und Literatur, von seiten der stalinistischen Kulturfunktionäre blüht: Das Verschwinden im Schlund der Revolution als Apokalypse selbst. Droht einer der Ärzte („Ingenieure der Seele“?) Verdacht zu schöpfen, verleibt sich Gumbrow ein weiteres Buch ein.

Die wechselnden Störungen, die Gumbrow durch die Emigration in den Wahnsinn ein für allemal auszuschalten gehofft hatte, stellen sich nun in persistenter Gestalt Lemskis ein. Lemski soll, so hatte ein Gericht geurteilt, gar nicht Lemski sein, sondern wahnhaft die Identität eines andern in Besitz genommen haben. Bis zum Schluss steht der Leser vor der Frage, ob Lemski das Opfer einer Verleumdung oder tatsächlich irre ist. In dem Gespräch, das einen Großteil des Buches einnimmt, schildert Lemski den Verlauf der Gerichtsverhandlung. Er sollte vor Jahren das Angebot eines Unternehmens angenommen und die Stelle des Inhabers besetzt haben. Dieser sei, so hatte ihm der seinerzeit verhandelnde Sekretär erklärt, „des Lebens wahrhaft müde“ und wolle „mit dieser Welt nichts mehr zu schaffen haben“. Lemski sollte keinem anderen Willen als dem eigenen unterliegen, sei aber verpflichtet gewesen, in allen Angelegenheiten des Unternehmensinhabers – sein Name ist natürlich Lemski – nicht nur als dessen Vertretung, sondern als dieser in persona zu erscheinen. Er sollte stets und überall auf seinem neuen Namen beharren, solange bis die Welt sich mit der Tatsache abgefunden hatte, erfahrungsgemäß rasch. Lemski, war der Sekretär fortgefahren, habe sich mit einer Sicherheit in seiner Rolle bewegt, dass der Tausch nicht nur im allgemeinen Bewusstsein, sondern auch in seinem eigenen bald in Vergessenheit geriet. Irgendwann habe er nicht mehr nur dienstliche, sondern auch gesellschaftliche und private Verpflichtungen wahrgenommen, bis sich selbst Madame Lemski in die neuen Verhältnisse fügte. Madame Lemski hatte die Aussage bestätigt. Sie hatte sich erst mit der Nachricht vom Hinscheiden ihres Mannes, das ihr eine gewaltige Hinterlassenschaft in Aussicht stellte, des seltsamen Abkommens wieder erinnert und sofort einen Prozess angestrengt.

Es ist klar, dass Lemski nicht nur einen Andern vertritt. Er vertritt die Andern, den „neuen Menschen“, die „toten Seelen“, die ihrerseits als von sich entfremdete Parteischablonen nur noch eine homogene Marschiermasse abgeben. Zugleich aber muss Lemski der Gegenentwurf zu dem Privatmenschen Gumbrow sein. Denn auf gewisse Weise reizt Gumbrow, jeden Nexus zur communitas kappend, beständig zur Frage: ‚Was gehen uns Privatidiosynkrasien an?‘ Die Ironie will es, dass Marx selbst die contemplatio verurteilt hat. Sie ist als unangemessene Reaktion abzulehnen. Freilich ist der Gegenentwurf nicht optimistisch. Es gibt keinen Optimismus in Golz’ einzigem Manifest. Das Irrenhaus ist der letzte Ort, an dem sich leben lässt, aber nur ein falsches Leben, denn es gibt kein richtiges im falschen etc. Dass Gumbrow letztlich nicht Gumbrow, sondern eben jener Unternehmensinhaber Lemski ist, zeigt nur, dass auch der Rückzug ins Papierleben durch Verlust des Selbst erkauft ist, während die Einsicht Lemskis, tatsächlich nicht Lemski zu sein, ihm den eigenen Abgrund offenbart und in den nun auch begründeten Wahnsinn stürzt. Zum Glück, kann man sagen, befindet er sich am rechten Ort."

Volksfeinde - Just A Book Review

I doubt the intelligentsia ever believed that "the internet" would destroy "the book", yet I grew up surrounded by such portentous prophecies (coming from screens). Perhaps it was just a mean grown-up joke that I wasn't supposed to get, a joke with "esprit". However, most prophecies become true in unforeseen ways. While the intelligentsia of the early 90s had pointed towards a war of media, it was all about the content they offer. The fact that most readers don't read anymore doesn't need much of an explanation. Why would anyone read a book when they can watch "The Wire" for 60 hours?

I personally did read quite some books in the past, but I also studied philosophy and literature plus I didn't have any internet connection for many years. When I finished school, I went to 1&1 and got myself hooked up, ever since then I haven't read anything but my own fragments, yet they shouldn't count as books: they don't have ISBN-numbers.

However, I decided to read again. And just to anticipate the "trace of honesty" that attracted myself to what I'm about to review, my decision was based on the following two reasons: 1. The Fun Club needs to publish book reviews to strenghten its position as party intellectuals' darling. 2. Since I don't collect vinyls, I should at least be a book nerd given that my technical skills are not very much advanced. There is nothing preposterous about neither 1 nor 2, everything that ever became (perhaps too) important to me, was forced upon myself by myself for "false" reasons.

 
I can be somewhat "extreme", so they say, and that might be why I picked  two books at the same time, both of them written by men with whom I entertain strong love-hate relationships, none of them mutual of course. So I first chose the "Josephstetralogie", apart from "Königliche Hoheit" what's missing to close "das Buch Thomas Mann", how the fuck did I make it through all these pages, and then decided to read "Ennemies publics" on the side. As you might know, I'm Berlin based now and somewhat eager to improve my German language skills, so I picked the German translation "Volksfeinde" published at Dumont in summer 2009. 

In "Volksfeinde" we find Bernhard-Henri Lévy and Michel Houellebecq exchanging letters - and how I love letters! Their self-proclaimed "Bekenntnisliteratur" initiates itself in terms of an understated confession: their correspondence is the result of an "idea" they had over dinner. It seems somewhat important to keep that in mind, although I'm not quite sure if anything should be derived from it. What I am sure of is that Michel Houellebecq, a man with whom I've been struggling with for almost ten years now, has to be approved. Point.

[to be continued]